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Serendipity.

Europäische Stadtfiktionen in China.

Über urbane Travestien, Parodien und mimetische Transpositionen.

Methodische Vorbemerkung.

Der folgende Beitrag untersucht eine Auswahl chinesischer Themenstädte, die mit dem Ziel gebaut wurden, europäische Stadtbilder und Stadtideen nach China zu transferieren. Als wichtigstes Analyseinstrument findet dabei eine Heuristik Anwendung, die als „urbane Semiologie“ bezeichnet wird. Diese erlaubt es, die verschiedenen soziokulturellen Codes zu identifizieren, die im Zuge der Transposition von Europa nach China aufeinander treffen, sich mischen, ergänzen oder einander abstoßen.

Men­schen produzieren Räume zum Leben – und indem sie dies tun, schrei­ben sie dem Raum die Formen ihres erwünschten, erhofften und ihres wirklichen Zusammenseins ein. Ihre Habitate formieren sich auf diese Weise zu räumlichen ‚Essays’, die über die Vorstellungen, Werte und Auseinandersetzungen ihrer Planer, Erbauer und Nutzer Auskunft erteilen. Der urbanen Semiologie zufolge können Elemente des städtischen Raumes, Gebäude und Ensembles, als Zeichen verstanden – und insofern mit dem Medium Sprache vergli­chen werden. Die Raumelemente des Gegenstandes „Stadt“ (des Referenten) lassen sich so als Bedeutungsträger (Signifikanten) bestimmen, die auf Bedeutungen oder Inhalte (Signifikate) verweisen (Peirce 1991).

Von der „sozialen Semiologie“ Gottdieners (Gottdiener 1986) unterscheidet sich die „urbane Semiologie“ in erster Linie durch die Fokussierung auf kulturelle Praktiken. Letztere steht insofern kulturgeographischen Ansätzen näher, als stadtsoziologischen. Während stadtsoziologische Heuristiken die Stadt vorzugsweise als Text sozialer Arrangements, Auseinandersetzungen und begleitender Ideologien untersuchen, interessieren sich kulturgeografische Ansätze stärker für die tief im kollektiven Gedächtnis und in tradierten sozialen Praktiken verwurzelten raumrelevanten Handlungsweisen. Die für das Erkennen und Deuten verräumlichter kultureller Praktiken, Konventionen, Muster oder Spuren erforderliche Methode bezeichnet Walter Benjamin als „Superposition“ (Benjamin 1991, I 526; Hassenpflug 2001). Ihm zufolge setzt diese Deutungskunst die Fähigkeit voraus, „das Neue zu erinnern“ (Benjamin 1991, I 493, II 1024). “Superposition” ist eine Technik des Entbergens kultureller Botschaften, die sich, wie wir nachzuweisen hoffen, gerade auf dem Gebiet der kulturell vergleichenden Stadtanalyse als ergiebig erweist.

In seiner Architektur-Semiologie spricht Umberto Eco von ikonischen Botschaften, die von räumlichen Gegebenheiten gesendet werden (Eco 1972/1994). Dabei unterscheidet er denotative und konnotative Botschaften. Denotiert werden primäre, d.h. wesentliche Funktionen, konnotiert hingegen werden sekundäre oder abgeleitete Funktionen. Eine großzügig ausgestattete, herrschaftliche Villa, um ein Beispiel zu nennen, denotiert wie jedes Haus oder jede Wohnung „Zuhause-Sein“, „Geborgenheit“ beziehungsweise „Privatheit“. Andererseits kann sie je nach den Assoziationen des betrachtenden Individuums „Reichtum“, „Überfluss“, „großbürgerliche Saturiertheit“ oder dergleichen konnotieren. Denotationen sind objektiv vorgegeben, schränken also den Deutungsspielraum des die architektonische oder räumliche Botschaft empfangen­den Individuums subjektiv ein. Konnotiert werden demgegenüber Inhalte, die vom Betrachter in den Signifikanten (die Villa) hinein projiziert bzw. mit ihm assoziiert werden, nominelle bzw. flüchtige, veränderliche, akzidentielle Bedeutungen.

Wenn ein Haus, um das Beispiel wieder aufzugreifen, einen Innenhof (etwa einen Tíng Yuàn, dem römischen Peristyl vergleichbar), jedoch keine dekorierte Fassade besitzt, dann sendet es eine völlig andere Bot­schaft als ein Haus, das eine Schmuckfassade exponiert, jedoch über kei­nen gestalteten Innenhof verfügt. Ersteres, dem wir im chinesischen Sìhéyuàn begegnen, denotiert durch seine introverse Konzeption unab­weisbar den Vorrang von Familie und Gemeinschaft. Letzteres hingegen verweist mit seiner extraversen Geste auf die Raumproduktion des bürgerlichen, ­vergesellschafteten Individuums.

Die in den hochgradig verriegelten chinesischen Städten vielfach anzutreffenden Tore, Schlagbäume, Mauern und Zäune verweisen als städtische Signi­fikanten auf abgeschlossene stadträumliche Einheiten, insbesondere auf nahezu durchgängig geschlossene Wohnsiedlungen („compounds“, was soviel wie „Verpackung“ heißt). Insofern die compounds die historische Introversion in Gestalt von „Nachbarschaftshöfen“ tradieren, geben sie einen nach wie vor existierenden Vorrang von Familie, Gemeinschaft, Kollektiv zu erkennen. Ein offener, von dekorierten Giebelfassaden gerahmter und auf diese Weise theatralisch inszenierter, extraverser Markt- oder Stadtplatz denotiert demgegenüber eine individualisierte Gesellschaft. Während die chinesische Stadt mit ihren urbanen Dörfern (den abgeschlossenen Nachbarschaften) von der Dominanz des Gemeinschaftslebens kündet, denotiert die europäische Stadt mit ihren fassadengesäumten öffentlichen Plätzen und Straßen den Vorrang der bürgerlichen Stadtgesellschaft.

Offen sind in China seit Jahrhunderten die kommerziellen Räume, Einkaufzeilen, Einkaufsstraßen, Einkaufszentren etc. Unterbrochen wurde die Kultur des offenen kommerziellen Stadtraums allerdings durch die danwei in der Zeit Mao Ze Dongs. Bei den danwei handelt es sich um städtische Produktionsgenossenschaften, die nach dem Vorbild ländlich-agrarischer Kollektive die Einheit von Wohnen, Arbeiten, Bilden und Einzelhandel in abgeschlossenen Einheiten verwirklichten. Heute, nach ihrer Beseitigung, ist der uralte Dualismus von abgeschlossenem und aufgeschlossenem Raum wieder prägend. Die gesamte Orchestrierung der chinesischen Stadt fügt sich diesem „binären Code“.

Eine soziokulturell informierte urbane Semiologie klärt uns auch darüber auf, dass in China die Orientierung (nord-süd) von Wohnungen bzw. Wohnhäusern seit jeher viel bedeutsamer ist, als in Europa. Die hier tradierte Blockrandbebauung kennt keine Orientierung. Bedeutsam wird Orientierung erst als pragmatisches Ergebnis großstadtkritischer Bewegungen (Hygiene- und Gartenstadtbewegung) des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. In China ist die Orientierung von Wohngebäuden demgegenüber nicht nur uralt, sondern zugleich mit einem hohem sozialen Status verbunden; denn in alten chinesischen Hofhausanlagen (z.B. die Hutong in Beijing), hatten die jeweils Ältesten eines Familienverbandes (z.B. die Eltern) das Privileg, im größten und zugleich nach Süden ausgerichteten Gebäude zu wohnen. Das einstige Familienprivileg der Süd-Wohnung hat sich in Gestalt eines Mittelschichtprivilegs in die Gegenwart hinübergerettet, in der statt kleiner Hofhäuser vertikale Hochhäuser in Nachbarschaften mit 3 – 7 Tsd. Einwohnern gebaut werden. Für die neue, stark wachsende Mittelschicht sollten Wohnungen aus Statusgründen eine Südorientierung aufweisen. Ansonsten sind sie nur schwer vermarktbar. Denn in China denotiert die Südausrichtung nicht nur die Wahrnehmung klimatischer Vorteile, sondern zugleich sozialen Distinktionsgewinn.

Die europäischen Transpositionen, denen wir uns nun zuwenden, interagieren auf unterschiedliche Weise mit den räumlichen Anforderungen der chinesischen Gesellschaft. Je nachdem, wie sie auf deren Verlangen nach Introversion, Exklusion und Orientierung eingehen, kann die Transposition ganz oder teilweise gelingen – oder sogar scheitern.

Die neuen Satellitenstädte von Shanghai.

Unter dem Eindruck des permanenten Bevölkerungsdrucks in den Kernbezirken der 18 Mio. EW Mega-Metropole Shanghai griff deren Stadtregierung um die Jahrtausendwende auf eine ‘klassisch’ zu nennende Maßnahme zur Entlastung des Stadtwachstums zurück: auf den Bau von Satellitenstädten. So wurde im Rahmen des zehnten 5-Jahres-Plans unter dem Titel ‘One City, Nine Villages’ [1] das neue strategische Entwicklungskonzept der Stadt beschlossen. Als ‘1966-Plan’ wurde es im Rahmen des elften 5-Jahres-Plans bestätigt. Durch den Bau der Stadt Songjiang (die eine Stadt) und von 9 neuen Kleinstädten (‘Dörfern’) mit einer projektierten Einwohnerzahl von ca. 5,4 Mio insgesamt soll die Innenstadt (ca. 8 Mio. EW) bis 2020 um ca. 1,1 Mio Einwohner (gegenüber dem Stand von 2000) schrumpfen.

Darüber hinaus soll mit diesen Plänen die Stadtentwicklung in geordnete Bahnen gelenkt werden. Das Schlüsselwort dafür ist ‘polyzentrisches Wachstum’: Die zehn (1+9) Neustädte sollen dem zufolge ‘autark’ bzw. funktional integriert sein, was so viel bedeutet, dass sie in ausreichender Zahl über lokale Arbeitsplätze, öffentliche Versorgungseinrichtungen (Kindergärten, Schulen, Krankenpflege-Einrichtungen usw.), Geschäfte etc. verfügen müssen. Dadurch sollen überbordende Pendlerströme zwischen Kernstadt und Peripherie vermieden werden. Durch die Polyzentralität sollen zudem verbliebene Ackerflächen gesichert, Zersiedelung reduziert, der Aufbau von Grünzonen gestärkt und insbesondere die Verkehrsströme konzentriert und effektiver gelenkt werden. Ein großräumig angelegter Verkehrsentwicklungsplan ist daher integraler Bestandteil des ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plans’. [2] Die EXPO 2010, Shanghai, die diesen Plan inzwischen adoptiert hat, hebt darüber hinaus die Bedeutung der Satelliten- und Trabantenstädte [3] für die sich dynamisch ändernden Lebens- und Raumansprüche der wachsenden Mittelschichten Chinas hervor. [4]

Man kann diesen Plan als ‘klassisch’ bezeichnen, insofern er auf Modelle und Praktiken der Entlastungsplanung zu Zeiten der europäischen und nordamerikanischen Großstadtentwicklung rekurriert. Schon der philanthropische Werkssiedlungsbau in Großbritannien, Frankreich und Deutschland [5], jedoch auch die Gartenstadtbewegung des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jh’s. [6] und die sog. New-Town-Bewegung der 60iger Jahre des 20. Jh., die ihren Ausgangspunkt in Großbritannien und Frankreich hatte (Milton Keynes,…), können in diesem Zusammenhang genannt werden.

Als städtebauliches Referenzmodell muss freilich auch der aus Nordamerika kommende ‘New Urbanism’ [7] hinzu gezählt werden. (Ziegler 2006) Dies nicht nur, weil er im Kontext des Shanghaier ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plans’ explizit auftaucht, sondern auch weil er für das Thema Citytainment in China von großer Bedeutung ist. Der historisierende New Urbanism verweist nämlich auf einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Stadtentwicklung, der sich in einem Satz folgendermaßen erläutern lässt: Weg vom geschichtslosen Funktonalismus der klassischen Moderne – hin zu einer, Tradition und Moderne versöhnenden, ‘reflexiven Modernisierung’. (Hassenpflug 2006c) Das bedeutet jedoch zugleich: Weg von der Förderung zentrifugaler Kräfte der Stadtentwicklung und hin zur Unterstützung und Formierung zentripetaler Dynamik! Der Sache nach geht es also beim New Urbanism nicht um Entlastungsplanung für wachsende Städte, sondern, ganz im Gegenteil, um eine Opposition gegen den ‘urban sprawl’, um Rückkehr zu Stadt, Dichte, öffentlichem Raum, Zentralität. Er richtet sich insofern gegen das, was nicht zuletzt im Namen frühindustrieller und fordistischer Entlastungsplanung geschaffen wurde.

Das Auftauchen des ‘New Urbanism’ im Kontext der Shanghaier Entlastungsplanung ist vor diesem Hintergrund nicht ganz einfach zu erklären; denn wir finden in China weder einen mit Nordamerika vergleichbaren ‘urban sprawl’ noch ein diese Form der Landflucht unterstützendes Narrativ des ‘common man’ und der ‘frontier’ (Hardinghaus 2004). Warum spielt der ‘New Urbanism’ gleichwohl eine Rolle? Für den Moment wollen wir uns mit zwei kurzen Erklärungen begnügen, nicht ohne dabei auf die Ausführungen in Kapitel 8 zu verweisen.

Als erste Erklärung bieten sich die ungewöhnlich ambitionierten, geradezu experimentellen Vorstellungen an, die mit dem ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plan’ verknüpft werden. Die Entlastungs­städte sollen nämlich nicht nur technisch fortgeschrittene Bauweisen in den Bereichen Umweltverträglichkeit, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Materialeinsatz etc. demonstrieren, sondern zugleich die mit vorwiegend westlichen Lebensstilen verbundenen stadtästhetischen Konzepte veranschaulichen. Eine der Deutungen dieses Anspruchs ist die bildhafte Darstellung des kulturell Typischen (typisch amerikanisch, deutsch, italienisch, nordisch etc.) im Medium des Städtebaus.

Die zweite Erklärung führt uns zu dem Phänomen der rapiden Ausdifferenzierung einer starken – selbstverständlich heterogenen – chinesischen Mittelklasse und die mit dieser Entwicklung einhergehende Änderung der funktionalen und ästhetischen Anforderungen an den Siedlungsraum. Da der Blick auf die eigene chinesische Geschichte durch die Traumatisierungen der jüngeren Vergangenheit immer noch partiell befangen ist, geht dieser im nunmehr offenen China umso befreiter nach außen, um dort insbesondere die stadtästhetischen Schemata und Moden der westlichen Mittelklassen, vorzugsweise der US-amerikanischen aufzugreifen. “The selling point of Chinese new (sub-)urbanism is a ‘new way of (good) life’, distinguishing itself from the outdated socialist utopianism.” The developers, so Wu in seinem aufschlussreichen Essay über das ‘branding’ des neuen chinesischen Nachbarschaftsblocks, “are becoming ‘community builders’ like their North American counterparts and attempting to capture the imagination of upwardly-mobile middle class. Through the imagination of simulated landscapes, often copied from foreign places, the developers are shaping a new myth of Chinese suburbia. The gate, especially built into spectacular and iconic styles, serves a visual anchor in the imagination of (sub-)urbanism.” (Wu, Fulong 2006)

China, so die Botschaft des ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plans’ ist noch auf der Suche nach sich selbst – und Shanghai sieht sich als auf die Welt schauender Kopf des chinesischen Drachen in der Pflicht, hier voranzuschreiten und Wege aufzuzeigen.

Projektiert wurden zehn Themenstädte in zehn Distrikten, die nach Maßgabe von teils beauftragten, teils in Wettbewerben ermittelten Masterplänen im Stil totaler Planung (also dem exakten Gegenteil inkrementalistischen Städtebaus) als Retortenstädte realisiert werden sollen. Nach meinen Ermittlungen handelt es sich aktuell um die folgenden Projekte:

Fig. 1: Songjiang-New City (Taiwushi) und die Entlastungsstädte des ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plans’. © D. Hassenpflug

Fig. 1: Songjiang-New City (Taiwushi) und die Entlastungsstädte des ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plans’. © D. Hassenpflug

Seit einigen Jahren wird der ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plan’ umgesetzt – vor allem mit Investitionsmitteln aus öffentlichen Kassen; denn private Investoren lassen sich für derartige Modellprojekte nur in begrenztem Maße begeistern. Da während der Implementierung immer wieder Änderungen vorgenommen werden, entsprechen die Ergebnisse nicht mehr durchgängig den ursprünglichen Planungen. [8] Hinzu kommt, dass die Zahl der geplanten Satellitenstädte inzwischen die Zahl zehn offensichtlich weit überschreitet. Verbliebenen historischen Dörfern und Kleinstädten in der Peripherie Shanghais wird zudem immer mehr Aufmerksamkeit zuteil. Ihr touristisches Potential wird entdeckt – und durch groß angelegte Restaurierungs- und Revitalisierungsplanungen zu sichern versucht. Eines dieser ‘Dörfer’ erscheint bereits im ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plan’ (Zhujiajiao). Es ist aus den genannten Gründen nicht so einfach, herauszufinden, welche 9 Satellitenstädte nun wirklich aktuell dazugehören. [9]

Allerdings sind wir ganz auf der sicheren Seite, wenn wir uns nun den drei Fallstudien zuwenden: Anting (Jiading-Distrikt), Taiwushi (‘Thames Town’ als Teil der einen Songjiang New City im gleichnamigen Songjiang-Distrikt) und Luodian (Baoshan-Distrikt). Alle drei Projekte zählten von Beginn an zum ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plan’ der Stadt Shanghai und sind zudem weitgehend fertiggestellt.

Ein Stück ‘richtiges Deutschland’: Anting Neustadt.

Anting Neustadt ist ein Produkt städtebaulicher Mimesis – und insofern einzigartig. [10] Das Projekt stellt den ambitionierten Versuch dar, die Idee der deutschen Stadt in China zu materialisieren. Anting Neustadt ist nicht die Kopie einer wirklichen deutschen Stadt, z.B. von Rothenburg o.d.T., von Ulm, Celle, Görlitz oder gar der ‘Partnerstadt’ Weimar, sie ist auch keine Assemblage oder Collage von Kopien deutscher Ensembles oder Gebäude. Anting soll vielmehr die deutsche Stadt ‘als solche’ vorstellig machen. Im Sprachgebrauch der Philosophie würde man das so ausdrücken: Im Medium von Städtebau und Architektur soll die deutsche Stadt auf den Begriff gebracht werden, sozusagen ein Idealtyp von ihr in Beton, Glas, Asphalt und Stein errichtet werden. Eine wahrhaft herkulische Aufgabe!

In gewisser Weise hat das Frankfurter Architektur- und Planungsbüro AS&P sich diese Aufgabe selbst gestellt, da es sich um eine Interpretation des Auftrags handelt, in der Provinz Jiading eine ‘deutsche Stadt’ zu bauen. Die Auftraggeber selbst haben vermutlich an eine schlichte Stadtkopie gedacht, an ein Stück Weimarer Altstadt mit Frauenplan und Goethehaus, Schillerstraße und Schillerhaus, Marktplatz und Rathaus, Anna Amalia Bibliothek und Stadtschloss etc., also eine Assemblage oder Collage von Stadtbausteinen, ge­stellt auf eine offene Stadtbühne, ge­rahmt mit abgeschlossenen Nachbarschaften (‘gated communities’). Albert Speer und seine Partner entschieden sich jedoch anders. In ihrem Masterplan trach­teten sie zwei anspruchsvolle An­sätze miteinander zu kombinieren:

Zum einen legten sie ihm die als ‘organischer Grundriss’ typisierte räum­liche Grundstruktur der mittelalterlichen europäischen Stadt zugrunde. Möglich erschien dies, weil die deutsche Stadt in ihrem traditionellen Grundriss diese räumliche Grammatik teilt und weil die mittelalterliche Stadtfigur die (für Bild und Identität gleichermaßen bedeutsamen) Stadtzentren der meisten deutschen Städte immer noch prägt. Hinzu kommt, dass Deutschland bis heute eine klein- und mittelstädtisch geprägte Landschaft ist – ein Umstand, der noch deutlicher als sonst zutage tritt, wenn man der deutschen Stadtlandschaft die chinesische mit ihren vielen Mega- und Millionenstädten gegenüberstellt.

Zum anderen führten sie ihrem Masterplan die Ansprüche zu, die in Deutschland heute an einen guten Städtebau gerichtet werden. Dies betrifft insbesondere die nachhaltige Stadtentwicklung, d.h. z.B. die Energieeffizienz, Materialqualität, die Reduktion von Emissionen aller Art, getrennte Müllsammlung, ein ausgewogenes Angebot an Grün- und Erholungsraum, kurze Wege und, nicht zu vergessen, ein sachliches, deutlich in den funktionalistischen Traditionen der klassischen Moderne stehendes Design.

Abb.1: Modell von Anting Neustadt, Shanghai.

Abb.1: Modell von Anting Neustadt, Shanghai.

Während der erste Ansatz vor allem die Grundstruktur der projektierten Stadt betrifft, wirkt sich der zweite Ansatz auf die Füllstruktur aus. Beides, Grund- und Füllstruktur zusammen genommen ergeben das Bild der Stadt. Im Folgenden gilt unser Haupt-Augenmerk dem ersten Ansatz. Dazu versichern wir uns erst einmal der wichtigsten Elemente der Grundstruktur der europäischen Stadt. Es sind die folgenden:

– das Zentrum ist soziokulturell definiert, d.h. Marktplatz mit Kirche (als Repräsentantin des sakralen Stadtraums) und Rathaus (als Repräsentanten des zivilen Stadtraums) definieren die räumlich ‘inklusive’, öffentliche Stadtkrone

– das punktförmige (nodale) Zentrum ist funktional vielfältig und gemischt

– es dominiert eine parzellierte, kleinteilige Blockrandbebauung (Orientierung nachrangig)

– Straßen und Plätze inszenieren den öffentlichen Raum mittels dekorierter bzw. ornamentierter Giebelfassaden (Extraversion)

– die Raumfolge ist hierarchisch strukturiert und das Stadtbild kontextintegriert: Während zum Zentrum hin die Dichte abnimmt, nimmt die Größe und Höhe der Baukörper zu; die Baukörper der Zivilgebäude sind in der Höhe orientiert (Giebel- oder Traufenhöhe)

– die Straßen sind i.S. eines organischen Grundrisses krumm bzw. gebogen [11]

– Stadtmauern und Gräben repräsentieren ikonisch eine strikte, nicht nur räumliche, sondern kulturelle Trennung zwischen innen und außen (einst zwischen bürgerlicher Stadt und feudalem Land)

Ein erster Blick sowohl auf die ursprünglichen Modelle, als auch auf die inzwischen im ersten (deutschen) Bauabschnitt realisierte Stadt zeigt diese Charakteristika mehr oder weniger deutlich: Es gibt einen zentralen Platz mit einer Kirche und größeren Gebäuden für öffentliche und kommerzielle Nutzungen, man findet Blockrandbebauung aus höhenorientierten Gebäuden mit Sattel- und Walmdächern, gekrümmte Straßen, Giebelfassaden und eine Umgrenzung durch eine Art von Stadtgraben. Auch die auffällige Farbigkeit – die Gebäude sind in Rot-, Gelb-, Ocker- und Blautönen angestrichen – zitiert die einstige Farbigkeit der europäischen Stadt.

Abb.2: Dekorationslose Giebelfassaden an Wohngebäuden mit Gewerbeflächen im Parterre.

Abb.2: Dekorationslose Giebelfassaden an Wohngebäuden mit Gewerbeflächen im Parterre.

Anting wirkt überraschend offen, Mauern und Zäune vor Wohnquartieren sind nicht vorhanden. Man hat offenbar ernsthaft versucht, die Idee der deutschen bzw. europäischen Stadt der Erde von Jiading aufzuprägen – und dieser Versuch ist, was die genannten Strukturen betrifft, in gewissem Umfang, sozusagen ‘in abstracto’, gelungen.

Der zweite Blick auf das Dargebotene lässt jedoch erhebliche Ab­weichun­gen von den europäischen Regeln zum Vorschein kommen, ja sogar massive Auflösungserscheinungen. Die Absicht beispielsweise, durch Blockrandbebauung das Aroma der deutschen Stadt zu importieren, hat sicht- und spürbar gelitten – ein Eindruck, der durch die vorhandenen Blockrandstrukturen nicht etwa gemindert, sondern vielmehr verstärkt wird. Man sieht es der Siedlung an, dass hier um den eigentlich unverzichtbaren Blockrand gerungen und Kompromisse gesucht wurden. Große Teile der Stadt sind bereits – und werden noch – in Zeilen- und Punktbauweise bzw. als einzeln stehende, seriell angeordnete Villen ausgeführt. Die Blöcke sind in die Länge gezogen, teils im westlichen und östlichen Bereich aufgerissen oder nur noch als Fragmente zu identifizieren.

Die Straßen sind zu breit geraten und die Gebäude zu modernistisch, um ein Altstadt-Gefühl aufkommen zu lassen. Zahlreiche Gebäude mit Sattel-, Walm- und Pultdächern wenden der

Straße ihre Traufenseite zu, und auch die wenigen blanken, auf ihre bloße Funktionalität reduzierten Giebel sind kaum in der Lage, öffentlichen Stadtraum wirksam zu inszenieren. Die Schwünge der Straßen wirken zudem angesichts ihrer Breite ästhetisch eher kraftlos. Am Ende wirkt der erste, fast fertiggestellte Bauabschnitt von Anting Neustadt wie eine spätfordistische Siedlung, die in das Korsett einer mittelalterlichen Grundstruktur gezwungen wurde. Das Ergebnis erinnert ein wenig an Kohl und Kriers Kirchsteigfeld bei Potsdam, allerdings deutlich weniger historisierend, eher ein Hybrid von Altdeutsch und Bauhaus.

Das Seltsamste jedoch ist das Oszillieren des gesamten Stadtraumes zwischen Abgeschlossenheit und Aufgeschlossenheit. Anting Neustadt präsentiert sich als offener Stadtraum. Der deutschen städtebaulichen Tradition folgend, wurden Mauern, Hecken und Zäune vermieden. Allenfalls der die Neustadt umgebende Wassergraben lässt sich als Barriere im Sinne der abgeschlossenen Stadt deuten. Geht aber so viel Offenheit in China? Immerhin machen Wohngebäude den größten Teil der Stadt aus! Natürlich geht es nicht! Also mussten die Wohnquartiere irgendwie abgeschlossen werden. Folgerichtig wurden überall, an den Haupt-Zufahrten und an den Abzweigungen zu den Seitenstraßen, kleine rote Wachhäuschen – natürlich mit Wachpersonal – aufgestellt. Wo aber bleibt dann der offene Stadtraum, der zu dem geschlossenen gehört, wie der Schlüssel zum Schloss?

Abb.3: Wohngebäude mit gewerblichen Räumen im Parterre.

Abb.3: Wohngebäude mit gewerblichen Räumen im Parterre.

Was ist geschehen? Warum wirkt die transponierte Struktur so unanschaulich? Weshalb stellt sich nicht einmal ein Hauch der Atmosphäre heutiger deutscher Kleinstadtzentren in Anting ein? Hat dies damit zu tun, dass Albert Speer eigentlich eine moderne deutsche Kleinstadt bauen wollte, eine Stadt, die er in Deutschland so entwerfen würde (wenn man solche Städ­te in Deutschland noch bauen könnte)? Oder hängt es einfach damit zusammen, dass der Grundriss, obschon einer alten Grundstruktur huldigend, mit einer modernen Füllstruktur überzogen worden ist? Ist Anting Neu­stadt als deutsche Kleinstadt dem Shanghaier Baurecht zum Opfer gefallen? Oder ist Anting einfach noch zu neu, zu unbelebt, zu wenig von Bewohnern angeeignet?

Das befremdliche Resultat der ‘Transposition’ (Cai/Bo 2004, 45 ff.) der deutschen Stadt­idee nach Shanghai wirft viele Fragen auf – und erheischt viele Antworten. Der Schlüssel für diese liegt allerdings nicht so sehr bei den Absichten der deutschen Planer und Architekten und, so sollte man hinzufügen, bei ihren chinesischen Ge­währsleuten. Er liegt primär in der chinesischen Kultur der Aneignung, der Produktion und Konsumtion von Raum. Drei Schlüsselworte sind hier von Belang: Orientierung, Exklusion und Introversion.

Orientierung.

Die Südorientierung war be­kannt und ist bei der Transposition des deut­schen Stadtideals nach China reflektiert, jedoch in ihrer Bedeutung offenbar unterschätzt worden. Erst im Zuge der Realisierungsplanung hat sich die Brisanz dieses Aspektes den Akteuren mitgeteilt, was zu teilweise drastischen Anpassungen führte. Dabei dürfte das Shanghaier Bau- und Planungsrecht eine Rolle gespielt haben. In Befolgung ohnehin tief verwurzelter alltagskultureller Praktiken gestattet dieses keine Abweichung von der Südorientierung ohne Sondererlaubnis. Die Stadt war schließlich bereit, eine Abweichung für 30% des Wohnungsbestandes zu genehmigen. (Cai/Bo 2004, 74)

Abb. 4: Überbreite gebogene Straße im Zentrum der ‘europäischen Stadt’ Anting.

Abb. 4: Überbreite gebogene Straße im Zentrum der ‘europäischen Stadt’ Anting.

Der Blockrand lässt sich nur dann problemlos bebauen und für die Rahmung oder Inszenierung des Straßenraums nutzen, wenn eine Nord-Süd-Orientierung gegeben ist. Eine Analyse des traditionellen und modernen chinesischen Städtebaus hätte die Planer jedoch darüber belehren müssen, wie wenig Spielraum es hier gibt – und dass daher andere Wege zur Absicherung des Unternehmens ‘Transposition’ hätten eingeschlagen werden müssen. Zum Beispiel gibt es für die Blockrandbebauung Freiheitsgrade bei kommerziellen bzw. gewerblichen Nutzungen. Ein Teil der nunmehr gebauten Läden befinden sich jedoch in ost-westlich verlaufenden Zeilengebäuden – was darauf schließen lässt, dass das Potenzial kommerzieller Gebäude zur Bildung von in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Blockrand-Zeilen nicht erkannt wurde.

Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass im Zuge der Implementierung der Wohnbereiche zurückgerudert werden musste: Blocks wurden zusammengepresst und in die Länge gezogen, um mehr Südfassaden zu generieren. Bei anderen wurden die östlichen und/oder westlichen Blockzeilen herausgenommen. Durch diesen Eingriff verwandelten sich die geschlossenen Blöcke in zwei (fordistische) Zeilen und die Blockinnenhöfe zu Abstandsgrün. So wurde im Zuge einer verspäteten, reaktiven Kompromissbildung auf der einen Seite verloren, nämlich die unverzichtbare Introversion, was an anderer Stelle gewonnen wurde, nämlich die Südorientierung. Es klingt daher ein wenig zu euphemistisch, wenn in diesem Zusammenhang von der Kreation einer neuen Haustypologie, dem ‘An­ting Block’ gesprochen wird. (Dong/Ruff 2006) Die Zeichnung (Figur 2) veranschaulicht exemplarisch den Wandel der ur­sprünglichen Grund­risse im Laufe des Implementierungsprozesses. (Oldiges 2007)

Blickt man auf die Modelle für den zwei­ten Bau­abschnitt von Anting­ Neu­stadt, immerhin mehr als 50% der Gesamtfläche der Stadt, dann kann einem wegen der Vielzahl der nach Westen orientierten Wohn­gebäude schon Angst und Bange werden. Dieser Planungsstand mag auch der Grund dafür sein, dass bisher keine Freigabe für den Bau erteilt wurde. Gibt es noch Spielräume für eine verbesserte Süd-Orien­tierung? Wohl kaum, denn die aufwändige ‘unsichtbare Stadt’ (Infrastruktur) und das Netz der Straßen sind bereits fertiggestellt. Die dadurch vorgegebenen kompakten Baublöcke bieten zu wenig Raum für nach Süden orien­tierte (Block­rand)Zeilen. Einzige Lösung könn­te eine Bespielung der Baufelder mit vertikalen Punktbauten sein. Dies würde jedoch den Charakter einer deut­schen oder europäischen Stadt vollständig zerstören.

Fig. 2: Anting vorher - Anting nachher.

Fig. 2: Anting vorher – Anting nachher.

Exklusion.

Das kulturelle Gewicht des Dualismus von abgeschlossener und aufge­schlossener Stadt bzw. der urbanen Dialektik von Exklusion und Inklusion, scheint den Planungen von vornherein äußerlich gewesen zu sein. Anting wurde als offene, funktionsintegrierte deutsche Stadt geplant. In der Mischung von Wohnfunktion und Han­delsfunktion im offenen Stadtraum sollte offenbar das Ideal eines deutschen Lebensgefühls zum Ausdruck gebracht werden. Ge­schlossene Nach­barschaften waren nicht vorgesehen. Der breite Was­sergraben, welcher die ganze Stadt umgibt, lässt sich jedoch als Absicht interpretieren, Anting Neustadt als Ganzes abzuriegeln – und damit einer einzigen Nachbarschaft gleichzustellen. Mit Blick auf die Wohn­funktion sind Stadtgemeinde und Nachbar­schaft damit eins und dasselbe.

Wohngebiete sind in China Nachbarschaften – und diese müssen abgeschlossen sein. Dies ist ein soziokultureller Imperativ. In Anting Neustadt kann man ihm jedoch nicht genügen; denn im Versuch, funktionsgemischte und belebte urbane Räume zu schaffen, integriert dieses Projekt die Handelsfunktion unmittelbar in die Wohngebiete. Anting Neu­stadt muss wegen der integrierten kommerziellen Funktionen offen sein. Das wiederum geht wegen der Wohnfunktion nicht.

Mit der Orientierung an dem europäischen Ideal der funktionsintegrierten offenen Stadt, das heißt mit dem Verzicht auf die Trennung von offenem und geschlossenem Stadtraum wurde also ein unlösbarer Konflikt heraufbeschworen. Entsprechend ambivalent wirken die getroffenen Exklusionsmaßnahmen: Für die Wohnfunktion werden Tore benötigt, also sind sie da. Sie müssen weg, da sie die kommerzielle Funktion behindern. Wie entkommt man diesem Dilemma? Der Ausweg heißt (wie so oft) Miniaturisierung!

Abb. 5-8: Abschließen oder nicht abschließen? Pseudo-Tore in Anting, Shanghai.

Abb. 5-8: Abschließen oder nicht abschließen? Pseudo-Tore in Anting, Shanghai.

Die Wohngemeinde Anting Neu­stadt wurde – den vom Masterplan geprägten räumlichen Gegebenheiten entsprechend – in zahlreiche kleinere Nachbar­schaften gegliedert. Jede der auf diese Weise nachträglich definierten Nachbarschaften erhält ein Tor. Eine Barriere mit Bremsschwelle und zierlichem Schlagbaum, immerhin, jedoch ohne den üblichen symbolträchtigen Auftritt eines Tores mit Torbogen, Torsäulen, Wachgebäude etc. – ein Tor ohne Mauer und Zaun. Eine Kuriosität! So finden wir allenthalben kleine mobile rote Wachhäuschen, die ihren provisorischen, rein symbolischen Charakter nicht verbergen können. Ein bisschen ‘gated’! Will sagen: Für das Wohnen zu wenig abgeschlossen, für den Kommerz zu viel abgeschlossen.

Da die innere Verriegelung schwach ist, sollte sich diese am Stadtrand exponieren, an den Brücken über den Wassergraben beispielsweise. Das könnte jedoch auf potentielle Kunden des geplanten Einkaufszentrums im Stadtinneren abschreckend wirken – zumindest nicht gerade einladend. Wenn die Kommerzfunktion jedoch schwächelt, könnte dies Folgen für die Bereit­schaft haben, nach Anting New Town zu ziehen. Damit würden dem Einzelhandel weitere Kunden verloren gehen. So könnte ein Teufelskreis in Gang gesetzt werden, aus dem die Stadt insgesamt als Verliererin hervorgehen würde.

Noch allerdings ist es nicht so weit. Das Stadtzentrum befindet sich im Bau und bereits jetzt ist man dabei, zu korrigieren und nachzujustieren. Es ist daher absehbar, dass sich Anting Neustadt allmählich sinisiert – in dem Sinne, dass am Ende ein aufgeschlossenes Stadtzentrum vorfindbar ist, dass über zwei bis vier offene Zufahrtsstraßen erreichbar ist. Der ganze Rest, gegenwärtig noch offen bzw. nur symbolisch geschlossen, würde dann in Nachbarschaften aufgeteilt und verriegelt sein. Welche Konsequenzen eine derartige räumliche Zäsur für den einheitlich entworfenen Stadt­grundriss nach sich ziehen würde, vermag man sich nur schwer vorzustellen.

Abb.9: Die Kirche von Anting (GMP, im Bau).

Abb.9: Die Kirche von Anting (GMP, im Bau).

In Anting Neustadt wurde das Prinzip der inklusiven Stadt naiv in einen exkludierenden kulturellen Kontext implantiert. So strau­chelt die Inklusion über die Exklusion. Man hat sich zu wenig Rechenschaft darüber abgelegt, dass in China die Wohnsiedlung der Familie und Gemeinschaft gehört, der Han­del bzw. Markt jedoch der offenen Stadt. Die Akzeptanz dieser Doppelstruktur wäre die Voraussetzung für eine gelingende Trans­position räumlicher Begabungen aus Deutsch­land nach China. Den urbanen Code Chinas verstehen und ernst nehmen bedeutet nämlich, dass man sich aktiv gestaltend auf die Produktion räumlicher Hybride einlässt – anstatt nachzubessern. Doch dazu fehlte es offenbar an einem elaborierten Verständnis für den urbanen Code Chinas.

Introversion.

Dem deutschen Ideal der offenen Stadt entsprechend, wurden in Anting Neu­stadt auf dem Gebiet innerhalb des symbolischen Stadtgrabens keine Nachbarschaften vorgesehen. Dadurch bot sich auch keine Gelegenheit, dem Bedürfnis nach introversen Räumen Rechnung zu tragen. Es geht jedoch nicht ­­ohne! Also musste nachgebessert werden. Als eine Art von Not­programm ergab sich die­ Mög­lichkeit, die durch die Block­randbebauung entstehenden Innenhöfe zu Nachbar­schaftshöfen umzucodieren.

Die europäische Form der Blockrandbebauung ist nämlich eine Sphinx. Sie blickt nach zwei Seiten: zum öffentlichen Raum, den sie zu rahmen und zu inszenieren trach­tet und nach innen, zu einem Hof, dem über eine funktionelle Nutzung als Parkplatz, Lichtschacht, Abstellplatz, Platz zum Wäschetrocknen, Kleingarten, Grünfläche und gelegentlich auch Kinderspielfläche traditionell wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Er ist daher auch oft verwahrlost. Hauptgrund Für seine Geringschätzung ist seine Parzellierung bzw. die sich darin ausdrückende Privatisierung. Diese verhindert eine ‘soziale Integration’ zu einem Nachbarschaftshof. In China, mit seiner integrativen, Parzellierungen ausschließenden Nachbarschaftsplanung, sind solche Flächen jedoch als Familien- bzw. Nachbarschaftshof prinzipiell interessant.

Immerhin wurde die Möglichkeit gesehen und auch zu nutzen versucht, durch eine pittoreske Gestaltung von Abstandsflächen und Blockinnenhöfen dem Mangel an introversem Raum zu begegnen. Durch jene Eingriffe in die ursprüngliche vorgesehene Blockrandbebauung, die zu einer Verengung der Hofflächen führten, wurden vorhandene Spielräume jedoch erheblich eingeschränkt. Zudem wurden Lösungen, ­welche dem chinesischen Auge schmeicheln, dadurch beeinträchtigt, dass man die neo-fordistische Partitur der ‘schwingenden Zeilen und tanzenden Punkte’ nicht zu spielen verstand.

In Anting wurde durchaus versucht, durch eine Vielzahl von kleineren, ­mal repräsentativen, mal pittoresken Plätzen dem Wunsch nach ­Introversion zu entsprechen. Viele der geome­trisch durchgestalteten Plätze, z.B. der Weimarplatz mit der Kopie des Goethe- und Schillerdenkmals, der einzigen ‘ech­ten’ Kopie in Anting, lassen sich jedoch nicht als introverse Räume interpretieren. Allzu entschieden denotieren sie europäische Extraversion.

Abb. 10: Der Weimarplatz von Anting mit Kopie des Goethe- und Schiller-Denkmals.

Abb. 10: Der Weimarplatz von Anting mit Kopie des Goethe- und Schiller-Denkmals.

Betrachten wir dazu den Weimarplatz ein wenig genauer: Die Anwesenheit des Goethe-Schiller­Denk­mals verweist auf Weimar als Partnerschaft Antings. Es besitzt damit einen für die ganze Stadt (d.h. zumindest für den Raum innerhalb des Was­sergrabens) identitätsrelevanten Charakter. Das Denkmal ist insofern Element des ‘branding’ von Anting, seines Images. Nun stelle man sich aber vor, Anting Neustadt wird, wie prognostiziert, im Zuge seiner Sinisierung in Nachbarschaften zerschnitten und verriegelt. Dann verwandelt sich der Weimarplatz in einen Nachbarschaftshof – ohne Bedeutung für den Rest der Stadt. Goethe und Schiller sind dann vollständig in einer Nachbar­schaft eingemeindet – symbolisch ‘vergemeinschaftet’, wenn man so will. Sie stehen dann nur noch für die Markenidentität eines ‘compound’ zur Verfügung. Ein groteskes, jedoch kein völlig aus der Luft gegriffenes Szenario.

Das Beispiel Weimarplatz zeigt überdies, dass die Möglichkeit, europäische Plazas, Marktplätze, Barockplätze von vornherein zu Nachbarschaftshöfen umzucodieren offenbar nicht gesehen wurde – und nicht gesehen werden konnte, da Nachbarschaften nicht vorgesehen waren. Dass diese Inanspruchnahme jedoch gängige Praxis ist, kann man an zahlreichen ‘compounds’ in Beijing, Shanghai, Shenzhen und anderen fortgeschrittenen Städten entlang der Ostküste studieren. Kopierte Plätze sind dort Teil des ‘compound branding’.

Dieser Punkt bringt uns zu einer weiteren grundsätzlichen Aussage: Die Attribuierung von Markenidentität erfolgt in China vorzugsweise direkt an die Nachbar­schaften, welche sich auf diese Weise kollektive Distinktionsgewinne verschaffen. Anting ist jedoch weder eine Nachbarschaft, noch eine offene Stadt­bühne, sondern eine deutsche Stadt, welche sich räumlich entlang des Dualismus von öffentlich und privat – und nicht entlang von offen und geschlossen – organisiert! Wäre Anting eine offene Stadtbühne, dann ließe sich ihr deutsches, klassizistisches und bauhäuslerisches Imagekapital den um sie herum gelagerten ‘compounds’ zuweisen. Doch diese compounds gibt es nicht – mit Ausnahme des (allerdings außerhalb des Stadtgrabens gelegenen) ‘Weimar Villa’. Wird Anting jedoch in ‘com­pounds’ zerstückelt, dann fragmentiert man auch die Stadt­bühne, die das Image liefern soll.

Um diese Wirkung zu vermeiden, könn­te man daran denken, Anting Neustadt als Ganzes zu einer Nachbarschaft zu integrieren. Dann allerdings würde z.B. der Marktplatz die Rolle eines Nachbarschaftshofes spielen. Er wäre dann kein Marktplatz mehr, sondern allenfalls eine nicht-kommerzielle Fiktion desselben; denn ein Nach­barschaftshof hat keine kommerzielle Funktion. Der zentrale Markt­platz soll jedoch explizit Teil eines übergeordneten Einkaufszen­trums sein, das auf einen über Anting Neustadt hinaus reichenden Einzugsbereich abstellt. Er soll darin zugleich europäische Zentralität und Öffentlichkeit repräsentieren. In dieser Funk­tion kann er jedoch nicht Teil einer Nachbarschaft sein. Also integriert man ihn in eine offene Stadtbühne. Das geht aber auch nicht, weil die Wohngebiete untrennbarer Teil der deutschen Stadt sind. Man kann es drehen und wenden wie man will: Der offene steht dem geschlossenen – und dieser jenem – im Wege.

Abb.11: ‘Deutsche Stadt’ mit straßenseitigen ZeilenKöpfen.

Abb.11: ‘Deutsche Stadt’ mit straßenseitigen ZeilenKöpfen.

Anting ist, wie ausführlich dargelegt, ein vom Scheitern bedrohtes Projekt – zumindest gilt diese Aussage für die für die gegenwärtige Form der Implementierung (Juni 2007). Die Verlaufsform dieses Scheiterns haben wir uns als eine Kette von Kompromissen vorzustellen, welche die Wunden eher offenlegen, anstatt sie zu heilen: Die Nachbarschaften können nicht mehr abgeschlossen werden, also geschieht dies mit symbolischen Aktionen nach Art der Miniaturisierung. Der zentrale Stadtplatz muss, um den Einzelhandel zur Niederlassung zu bewegen, offen sein. Dies geht jedoch nicht, da es keine geschlossenen Nachbarschaften gibt. Durch die Streckung der Blöcke werden vorhandene Spielräume für die Gestaltung von Nachbarschaftshöfen eingeschränkt. Behält man jedoch die Blockrand-Bebauung, verstößt man gegen die Orientierungsregel. Werden die derzeit noch offenen Plätze durch nachträglich vorgenommene Verriegelungen in Nachbarschaftshöfe umcodiert, findet eine Vergemeinschaftung ihres öffentlichen (gesellschaftlichen) Charakters statt – eine riskante Form der Intimisierung von Orten mit identitätsstiftender Bedeutung für ganz Anting Neustadt.

Abb. 12: Verkehrsberuhigte Allee mit Mischnutzung, Anting.

Abb. 12: Verkehrsberuhigte Allee mit Mischnutzung, Anting.

Bei aller Kritik sollten jedoch die positiven Anliegen und vor allem die Verdienste der Verantwortlichen nicht übersehen werden. Für uns beginnt die Liste der Errungenschaften damit, dass mit dem Realexperiment Anting Neustadt dem West-Ost-Dialog (bzw. dem Deutschland-China-Gedanken- und Erfahrungsaustausch) ein unbezahlbar wertvolles Erfahrungsobjekt zur Verfügung gestellt wurde (von dem nicht zuletzt dieses Buch profitiert). In der Auseinandersetzung mit diesem Experiment konnten interkulturelle Aufmerksamkeit geschärft und das Wissen um den urbanen Code Chinas vertieft werden. Dass dieses Argument nicht nur für uns gilt, zeigt die große Welle an Sekundärliteratur, an Büchern, Aufsätzen, Zeitungsartikeln, Blog-Beiträgen etc. welche das Projekt ausgelöst hat und immer noch auslöst. Dies ist jedoch nur Punkt eins.

Es ist der Hartleibigkeit der Verantwortlichen zu danken, insbesondere der Autorität Albert Speers, dass Anting Neustadt mit hohen konstruktiven und technischen Qualitätsstandards, teilweise mit High-end-Produkten, ausgerüstet werden konnte. Das ist in dieser Größenordnung bis dato ein Novum in China, wo gegenwärtig immer noch fragwürdige Qualität in der Materialverwendung und technischen Ausstattung den Städtebau dominiert. Die ‘deutsche Stadt’ kann damit zum baukonstruktiven Schaufenster in China werden. Anting Neu­stadt ist in jedem Fall ein anspruchsvolles Projekt, technisch gesehen sozusagen der Mercedes-Benz [12] unter den bislang realisierten thematischen Städten des ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plans’.

Europäische Travestien der chinesischen Stadt.

Taiwushi Neustadt (Thames Town).

Thames Town lässt sich mit Anting Neustadt nicht vergleichen. Anting ist ein mit Idealismus randvoll gefülltes Projekt – und darin typisch deutsch. Es will authentisch sein, die Welt besser machen, Problemlösungen aufzeigen – und nebenher die überall bewunderte deutsche Ingenieurskunst demonstrieren.

Abb.13: Straßenszene mit Hochzeitspaar in Taiwushi.

Abb.13: Straßenszene mit Hochzeitspaar in Taiwushi.

Ganz anders ‘Thames Town’, das angelsächsischen Pragmatismus aus jedem verbauten Molekül verkündet. Der Masterplan von Atkins lieferte, was der Kunde bestellt hatte. Der Kunde wünscht das Bild der englischen Stadt? Nichts einfacher als das! Es werden altenglische Architekturen und Ensembles fotografiert, gefilmt, gescannt, kompiliert und zu einer Stadt synthetisiert. Der Kunde liebt barocke Anmutung? Kann er haben! So wird der Zentralplatz als idealer Rundplatz mit achsialer Öffnung zum See entworfen. Das Stadtfake wird sodann dem kommerziellen Stadtraum zugeordnet. Die Nachbarschaften werden säuberlich abgetrennt und mit der üblichen­ Si­cherheitsinfrastruktur ausgestattet. Fertig ist ‘Thames Town’, die Travestie einer chinesischen Stadt.

Taiwushi ist ein englischer Traum, ein gebautes Märchen. Die Stadt ist ein Themenpark, der sich etwa so bewohnen lässt, wie ein Theaterbesucher sich auf einem Sitz im Parkett niederlässt. Man wohnt in einer Nachbarschaft am Stadtrand und schaut auf eine Stadtbühne, auf der ein englisches Stück aufgeführt wird. Mit dem Konzept von Anting Neu­stadt hat Taiwushi nichts zu tun. Zwar ist auch diese keine Kopie einer bestimmten englischen Kleinstadt, doch folgt daraus keinesfalls, dass hier der Versuch unternommen wurde, die Idee oder den Begriff der englischen bzw. britischen Stadt vorstellig zu machen. Um nichts in der Welt! Wir vermuten, dass ein derartiger Versuch einem gestandenen Briten niemals in den Sinn kommen würde.

Der offene Teil von Taiwushi Neustadt ist vielmehr eine Assemblage aus dreidimensionalen Bildern, will heißen: aus kopierten und 1:1 nachgebauten Elementen aus englischen Städten. In dieser Form der Raumkompilation ähnelt diese Stadt dem von Sorkin zuerst diagnostizierten medialen räumlichen Organisationsschema der Disneyworlds. (Sorkin 1992) Wer durch Taiwushi Neustadt spaziert, geht in einem dreidimensionalen, gebauten Film und nahezu jede Straßenecke bietet das Erlebnis eines Filmschnitts. So durchschreitet man die enge Gasse einer südenglischen Kleinstadt um nach der ersten Biegung in eine Seitengasse auf einem typischen Londoner Square mit viktorianisch dekorierten Häusern zu stehen. Da die britischen Städte die räumlichen Ideale ihrer Schwestern jenseits des Kanals in großen Stücken teilen, fehlt im Grundriss von Taiwushi Neustadt auch nicht der zentrale Platz mit Kirche und – scheinbar – öffentlichen Gebäuden. Wir finden Blockränder und Fassadenspielereien im Überfluss und ohne Kompromisse, kräftig gebogene, enge Gassen, alle möglichen Formen von Dächern – eben richtige Kopien englischer – und darin europäischer – Stadtkomponenten.

In anderen Worten: Wir finden sowohl auf der Ebene der Grund- als auch der Füllstruktur all das in Reinform, was in Anting Neustadt unter den Auspizien des modernen Deutschlands und der Suche nach Kompromissen mit den chinesischen Raumansprüchen verwässert wurde. So erscheint Taiwushi Neustadt als Stadtkopie gehobener Art ohne Wenn und Aber. Keine wirkliche Stadt, jedoch ein gebauter Traum, der kraftvoll in die Fantasie der Chinesen greift.

Es ist daher überhaupt nicht verwunderlich, dass Thames Town zu einem Eldorado der gewaltigen Shanghaier Hochzeits-Industrie geworden ist. Die pseudo-öffentlichen Gebäude um den Square an der Kathedrale sind mit ihren Kosmetik-, Foto-, Video- und Bekleidungsstudios fast komplett in Beschlag genommen worden. An schönen Tagen kann man in Thames Town Dutzende von Hochzeitspaaren auf einmal sehen, die Braut in wallendem weißen, beige- oder rosafarbenen Kleid, den Bräutigam gelegentlich mit einem britischen Zylinder auf dem Kopf oder in der Hand und manchmal das Paar auf einer Kutsche durch die mit Kopfsteinpflaster versehenen Gassen rumpelnd. Einfach märchenhaft!

Abb. 14: Viktorianische Wohngebäude-Fiktion an einem ‘Square’ in Taiwushi, Shanghai.

Abb. 14: Viktorianische Wohngebäude-Fiktion an einem ‘Square’ in Taiwushi, Shanghai.

Demgegenüber sind die Wohnquartiere, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ‘echt chinesisch’. Mit den Englandkopien im Zentrum von Taiwushi Neustadt haben sie – außer gelegentlicher Verwendung viktorianischer Stilelemente – faktisch nichts mehr zu tun. Es sind Villenquartiere, ‘compounds’ der gehobenen Mittelklasse, wie man sie heute überall in den Randbezirken chinesischer Großstädte findet.

Der geschlossene Teil der Stadt wurde also deutlich vom aufgeschlossenen getrennt. Das gilt auch für die Wohngebäude, die in die Innenstadt integriert wurden und ihre nach außen gerichtete Fassaden dem öffentlichen Raum schenken. Hier hat man jene Technik der kleinräumigen Verbindung von geschlossenem und offenen Raum angewandt, die in Anting völlig ungenutzt liegen geblieben ist: So finden sich in Taiwushi Blöcke, die nach Süden hin als Wohnquartiere gewidmet, nach Westen und Osten jedoch als gewerbliche Bereiche definiert sind. Für das Wohnen reicht diese Trennung allein noch nicht. Man hat daher den Zufahrten deutlich artikulierte, prägnante Toranlagen verschrieben – mit livrierten Wächtern im Buckingham-Palace-Look. Und die Innenhöfe wurden mit aufwändiger Freiraumgestaltung bedacht.

Für die Wohnquartiere gilt ansonsten: Sie sind verriegelt, d.h. mit ordentlichem Zaun, Wärterhäuschen, Schlagbaum, Videokameras, Infrarotmelder und allem, was zu einer ordentlichen Exklusion dazu gehört, ausgestattet. Sie sind orientiert, d.h. die Wohngebäude richten sich allesamt nach Süden aus. Ein Blockrandproblem gibt es, von Ausnahmen abgesehen, nicht. Sie sind schließlich introvertiert, d.h. mit Nachbarschaftshöfen bzw. introversen Parkanlagen ausgestattet. An Großbritannien erinnern in diesen Bereichen außer der Bekleidung des Wachpersonals nur noch die Ausstattung der offenen Erschließungsstraßen mit den bekannten roten Giles G. Scott-Telefonzellen, ebenfalls roten Postboxen, Feuermeldern etc.

Abb.15: Kopie einer Kathedrale in Taiwushi.

Abb.15: Kopie einer Kathedrale in Taiwushi.

Da Atkins die Wohnquartiere aus der englischen Stadtfigur herausgetrennt und als chinesische Nachbarschaften um sein ‘Disneyland’ herum gruppiert hat, konnte es eine Vermengung von Introversion und Extraversion nicht geben: Introvertiert sind die Wohnquartiere (man ist versucht zu sagen: wie es sich für chinesische Verhältnisse gehört) und extravertiert ist der ganze Rest, der offene Bereich. In Taiwushi Neustadt wurde gar nicht erst versucht, die altenglischen Wohnhäuser als Wohnhäuser bereitzustellen. Alles, was alt und englisch ist, ist kommerzieller Raum und kommerzielle Fläche. Notfalls stehen die Gebäude der Stadtbühne leer; das macht nichts. Als Kulissen eines englischen Traums funktionieren sie allemal, so, wie die Gebäude der Mainstreet in Disneyland als Bühnenbild eines ame­rikanischen Traums. Und vielleicht, wer weiß, ziehen in Zukunft Leute aus dem Westen in die Gebäude der Stadtbühne mit ihren Bars und Cafés ein.

Die Unterschiede zwischen Taiwushi und Anting Neustadt springen ins Auge. Während die Planer Antings den binären Code der chinesischen Stadt entweder nicht kannten oder aber ignorierten, um dem Ideal der allseits offenen deutschen Stadt keinen Zacken aus der Krone zu brechen, haben die Briten diesen Dualismus nicht nur gekannt, sondern akzeptiert und zur zentralen Planungsgrundlage gemacht. Während die Deutschen mit ihrem Ansatz ein für die europäische Lesart integres Stadtbild erzielten, nahm man bei Taiwushi das Auseinanderbrechen in zwei Teilstädte – eine Stadt introvertierter Mittel­standsghettos und eine Stadt auf der Disney-Bühne – billigend in Kauf. Erzielt wurde dadurch eine leichte Lesbarkeit für chinesische Bürger. Um als Stadt bewohnbar zu sein, reklamiert Anting von den Chinesen hingegen einen deutschen Lebensstil.

Hier Taiwushi, dort Anting – unterschiedlicher könnten die Richtungen des Weges der Transposition von Europa nach China nicht sein. Es ist davon auszugehen, dass die Startposition von Taiwushi Neustadt für eine chinesische Aneignung sehr viel besser ist, als diejenige von Anting Neustadt, das zwischen Fiktion und Authentizität, traditional und modern, offen und geschlossen, ein- und ausschließend, west und ost schwankt. Zu dem Zeitpunkt, da diese Zeilen geschrieben werden, sind allerdings nicht nur das deutsche Anting, sondern auch das britische Taiwushi mehr oder weniger Geisterstädte, die von Hochzeitspaaren, Touristen und neugierigen Chinesen besucht werden. Es heißt gegenwärtig, dass in Thames Town alle Villen und Wohnungen der Nachbarschaften verkauft seien – an Spekulanten zumeist – und dass die Preise steigen. In Anting Neustadt, so wird berichtet, seien im Sommer 2007 bereits 80% der Wohnungen verkauft – bei leicht rückläufigen Immobilienpreisen. In Weimar Village, der Villen-Nachbarschaft am Rande von Anting Neustadt hingegen sollen alle Immobilien verkauft sein, bei steigenden Preisen in der weiteren Vermarktung.

Fig. 3: Anting und Taiwushi im schematischen Vergleich.

Fig. 3: Anting und Taiwushi im schematischen Vergleich.

Luodian Neustadt (die nordische Stadt).

Wenn Anting die idealistische und Taiwushi die pragmatische Antwort auf die Frage nach dem ‘Wie’ einer Transpostion der europäischen Stadt nach China gibt, dann Luodian die routinisierte. Wie Taiwushi ist auch Luodian eine Travestie der chinesischen Stadt. Die Satellitenstadt ist chinesisch, ihr Zentrum ist in einen skandinavischen Mantel gehüllt. Das ist alles.

Luodian Neustadt, für eine Einwohnerzahl von ca. 30 Tsd. EW im nördlichen Shanghaier Distrikt Baoshan vom schwedischen Büro Sweco in 6-jähriger Planungs- und Bauzeit realisiert, beruht auf denselben Grundannahmen wie Taiwushi Neustadt. Offener und geschlossener Stadtraum sind deutlich voneinander getrennt. Die Villenquartiere weisen nur noch partiell nordische Architektursprache an den Eingangstoren auf. Die dichtbepackten Nachbarschaften sind mit hohen Zäunen gesichert, mit jenen unsäglichen, in China weit verbreiteten seriell-eklektizistischen Villen bestückt und selbstverständlich mit Nachbar­schaftshöfen an mäandernden Gewässern ausgestattet. Die Stadt wird durch eine breite, 6-spurige Straße zerschnitten – auf der einen Seite die ge­schlossenen Nachbarschaften, auf der anderen Seite die offen aufgestellte Stadtbühne.

Abb.16: ‘Branding’ in Luodian durch Mansardgiebel-Dächer, Rentiere etc.

Abb.16: ‘Branding’ in Luodian durch Mansardgiebel-Dächer, Rentiere etc.

Um eine Kopie der schwedischen bzw. skandinavischen Stadt zu bewerkstelligen, ist man weder den deutschen, noch dem kopiertechnisch anspruchsvollen britischen Weg gegangen. Man hat sozusagen frei gestaltete, jedoch idealtypisch gemeinte nordische Häuser in Musterblöcken arrangiert. Die Produktion von Blöcken bereitete dabei überhaupt keine Probleme, da sowieso niemand in den Gebäuden des offenen Stadtbereichs jemals wohnen wird. Jeder Block ist an irgend einer passenden oder unpassenden Seite aufgebrochen. Durch ein symbolisches hölzernes Tor kann man den Innenhof betreten – und steht dann auf einer versiegelten Fläche in die meist runde oder ovale Grünflächen eingelassen sind.

Den nordischen Stil soll man vor allen Dingen an der emblematischen Verwendung von Mansardgiebeldächern erkennen. Diese sind hier und da durch Satteldächer, Walmdächer und andere, meist von Mansardgiebel- und Walm­dächern abgeleitete Dachformen ergänzt worden. Als weiteres Merkmal des Nordischen wird offenbar die Ausstattung mit Bronzeskulpturen nackter Männer, Frauen und Kinder angesehen. Nackte Menschen werden schon durch die bloße Häufigkeit zum Markenzeichen von Luodian. Offenbar soll Skandinavien bzw. Schweden mit Freikörperkultur assoziiert werden – oder vielleicht wird es ohnehin damit in Verbindung gebracht (?). Auf alle Fälle hat sich im Stadtzentrum bereits ein großer Sauna-Betrieb niedergelassen. Er machte zum Zeitpunkt der Besichtigung allerdings einen verwaisten Eindruck, war geschlossen und die Anzeigetafeln ver­blasst.

Abb.17: Nacktheit als Markenidentität von Luodian, Shanghai.

Abb.17: Nacktheit als Markenidentität von Luodian, Shanghai.

Als weiteres Merkmal des Nordischen hat man schließlich noch das hölzerne Tor an den Plätzen ausgegeben. Moment! Hölzerne Tore an schwedischen Stadtplätzen? Handelt es sich dabei um ein Wiedererkennungs-Merkmal der skandinavischen Stadt? Mir scheint dies etwas weit hergeholt, um nicht zu sagen: abwegig. Bleibt als Erklärung nur der Versuch, durch die Tore einen in China als willkommen unterstellten Verriegelungseffekt zu erzielen. Da es eine Fülle von Blocks gibt, gibt es entsprechend viele Plätze und da die Plätze manchmal mehr als einen Ein­gang/Ausgang besitzen, zudem für viele Platzzugänge zwei Tore – straßenseitig und platzseitig – vorgesehen sind, entsteht in einigen Bereichen eine geradezu groteske Verriegelungsdichte.

Luodian hat natürlich – wie Anting und Taiwushi – eine Kirche. So etwas darf in einer europäisch-christlichen Stadt natürlich nicht fehlen. Während Anting beansprucht, ein echtes Gotteshaus in moderner Hülle anzubieten, in der Kathedrale von Taiwushi vermutlich schon chinesische Hochzeiten nach christlichem Ritual angeboten werden, scheint die Kirche von Luodian noch auf ihre Bestimmung zu warten. Ersichtlich beherbergt sie bisher nur eine öffentliche Toilette als Ort profaner Notdurft.

Abb. 18: Fußgängerzone ohne Fußgänger in Luodian.

Abb. 18: Fußgängerzone ohne Fußgänger in Luodian.

Natürlich ist Luodian für Chinesen leicht lesbar: Hier die Nachbarschaft, dort, durch eine breite Straße und durch einen Kanal von den Wohnbereichen deutlich abge­grenzt, die Stadtfiktion als offener Raum. Im Unterschied zu Anting, wo die Ambivalenz von offenem und geschlossenen Raum die Serviceagenturen und Sicherheitsdienste offenbar nervös macht, kann man hier, ebenso wie in Taiwushi, nach Herzenslust die toten, mit Plastikblumen und -ranken animierten Fassaden fotografieren.

Luodian wirkt mehr noch als Taiwushi wie eine Geisterstadt – und, was überraschend ist, mehr noch als Anting. Die Gründe dafür sind schwer auszumachen. Ist es die Abtrennung durch die sehr breite Straßen­schneise und den ebenfalls breiten Kanal? Oder ist es die etwas zu grau geratene Farb­wahl, das viel verwendete, in der subtropischen Sonne und in den Monsunregen und Taifunen verbleichende Holz, die allzu vielen Holztore oder etwa die insgesamt etwas billige Anmutung der Stadt­fiktion? Auf jeden Fall wirkt Loudian, anders als Taiwushi, wie Citytainment ohne Entertainment. Ein kraftloses Bühnenbild!

Sollte das anspruchsvolle Konzept von Anting (wider erwarten) eher aufgehen, als das aus chinesischer Sicht leicht lesbare Luodian? Kann Anting Neustadt vielleicht doch ir­gendwann einmal in synergetischer Weise von der unkonventionellen Integration von offenen und geschlossenen Räumen profitieren? Würde eine solche Synergie greifen, dann könnten die beiden anderen vorgestellten Neustädte prinzipiell nicht mithalten.

Neu Amsterdam in Shenyang: eine Stadtparodie.

Kommen wir zu einem weiteren Typus der in China couranten Stadtfiktionen, den radikalen Kopien bzw. Stadt-Parodien. Ein Beispiel, welches diesbezüglich für sich spricht, ist der Nachbau von Straßenszenen und wichtigen öffentlichen und halböffentlichen Gebäuden aus Amsterdam in der nordchinesischen Metropole und Hauptstadt der Liaoning-Provinz, Shen­yang. Nicht nur werden in Neu Amsterdam Straßenzüge, Plätze, Kanäle und Brücken der niederländischen Stadt nachempfunden, sondern auch die dazu gehörigen Straßenleuchten, Papierkörbe und Stra­ßenschilder. Wir finden eine 1:1-Nachbildung des Rathauses, ebenso den Nachbau einer Korvette mit eisernen Kanonen an Bord, deren Läufe auf die gegenüberliegende Nachbildung des Hauptbahnhofs gerichtet sind. Und natürlich fehlt auch eine Windmühle nicht. Unter der Decke eines galerieartigen Laubenganges sehen wir aufwändige Reproduktionen alter niederländischer Maler allmählich erblassen und verfallen. Denn das Neue Amsterdam von Shenyang ist eine Geisterstadt.

Abb.19: Rathauskopie in Shenyang.

Abb.19: Rathauskopie in Shenyang.

Wenn man nach Neu Amsterdam kommt, dann geht man durch große unbewachte Torbögen. Die Fenster der meisten Gebäude wirken blind, die Farben stumpf und hier und da sind Rostflecken zu sehen. Selbst vollständige Fassadenfronten wirken wie Hollywood-Kulissen. In einigen Bereichen stehen halbfertige Gebäude inmitten von ausgedehnten Brachflächen. Nur wenige Menschen beleben tagsüber die im Sonnenlicht gleißenden Straßen und Plätze,. Belebt ist eigentlich nur der Platz vor dem Bahnhof, von dem niemand mit dem Zug abfährt und an dem niemand mit dem Zug ankommt. Denn Gleise gibt es nicht. Woher kommen die Menschen?

Ein Teil der Frage beantwortet sich sofort; denn regelmäßig entsteigen Hochzeitspaare samt Entourage zu ‘photo-shootings’ den vorfahrenden Limou­sinen. Die bereits angesprochene Hoch­zeitsindustrie Chinas hat von diesem Ambiente offenbar Besitz ergriffen – ähnlich wie in Taiwushi Neustadt. Doch dies erklärt die Betriebsamkeit an diesem Ort vor dem Bahn­hof nicht allein. Man muss schon in den Bahnhof eintreten, um vollständige Auskunft zu erhalten: Anstatt auf Schalterhallen, Abfahrts- und Ankunftsanzeigen, Zeitschrift-Kioske und Schnellimbisse treffen wir hier auf die verwaisten Verkaufsräume und verstaubten Modelle für die Vermarktung der Wohnungen in den Nachbarschaften von Neu Amsterdam.

Dennoch stoßen wir auch auf hektische Betriebsamkeit. In den Hallen und Fluren eilt Restaurant-Dienstpersonal auf Rollschuhen aus allen Richtungen in alle Richtungen. Denn dort, wo man die Bahnsteige und Gleise vermutet, breiten sich unter dem Glas einer Art von Gewächshaus-Architektur endlos die Tische und Stühle eines Mega-Restaurants aus, jener Größenordnung, wie man sie vielleicht nur im volkreichen China mit seiner inzwischen enorm angewachsenen Mittelschicht finden kann.

Neu Amsterdam ist eine Stadt-Collage. Die Bilder wurden allerdings nicht aus den ganzen Niederlanden zusammengesucht und in einen Plan zusammengefügt, sondern man hat sich der reichhaltigen Ausstattung der berühmten holländischen Grachten-Metropole bedient. Ähnlich wie in Taiwushi und Luodian wurde ein Siedlungsbereich und ein kommerzieller Bereich unterschieden, doch sind die Grenzen hier weniger genau gezogen worden. Die städtebauliche Syntax von offen und geschlossen ist nicht deutlich erkennbar – und hierin gibt es, allerdings entfernte, Parallelen zu Anting.

Abb. 20: Kopie des Hauptbahnhofs von Amsterdam in Shenyang.

Abb. 20: Kopie des Hauptbahnhofs von Amsterdam in Shenyang.

So gibt es typische holländische Blockrand-Wohnhäuser, die auch als Wohnhäuser dienen sollen. Allerdings kommen, wie wir wissen, für das Wohnen nur solche Blockrandhäuser in Betracht, die eine Südorientierung aufweisen. Da jedoch die Vorgabe der totalen Fiktion umgesetzt wurde, kommt es zu einem Problem: Eine in Ost-West-Richtung verlaufende Straße bringt es mit sich, dass die Eingangstüren auf der einen Straßenseite im Süden, auf der anderen im Norden liegen. Für die südlich platzierte rückwärtige Front der niedrigen, nur zweigeschossigen Gebäude ergibt sich dadurch die Möglichkeit, die für die chinesische Familie wichtige Veranda (bzw. Balkon) nach Süden zu orien­tieren. Diese Seite ließe sich also vermarkten, wenn nicht straßenseitig auf den ebenfalls wichtigen Nordbalkon verzichtet werden müsste. Man muss nämlich wissen, dass sich die Nordbalkone auch im Zeitalter des Kühlschranks, das in China längst angebrochen ist, als Ort der Aufbewahrung von Lebensmitteln und als willkommener Stellplatz für Waschmaschine oder Vergleichbares großer Beliebtheit erfreuen. Man mag auf sie nicht verzichten.

Im nördlichen Straßenbereich ist es genau umgekehrt: Aus Gründen der fiktionalen Authentizität ist ein straßenseitiger Süd-Balkon nicht möglich. Es kann daher nur einen Nordbalkon geben. Das ist nicht wenig, jedoch nicht genug für den anspruchsvollen chinesi­schen Kun­den. Schlech­te Karten für die Ver­marktung also.

Hinzu kommt, dass es in einer richtigen, extravertierten europäischen Stadt ge­mein­schafsgebundene Innenhöfe – außer in Klös­tern und Burgen bzw. Domänen als Kreuzgänge und Horti Inclusi – kaum gibt. Kopierbedingt fehlen solche Räume auch in Neu Amsterdam. Es fehlen im inneren Stadt­bereich aus demselben Grund nicht nur eine introvertierte Struktur mit Nachbarschafts- und Familienhöfen, sondern auch eine artikulierte, durch Mauern und Zäune repräsentierte Trennung in Gemeinschafts- und Gesellschaftsräume, in private und öffentliche flächen. In Blockrand-Bereichen musste schließlich auch die für das Wohnen unverzichtbare Südorientierung aufgegeben werden. Schließ­lich stehen die großen Replikate städtebaulich unvermittelt in der Landschaft. Die fehlende schlüssige Raumfolge lässt auf einen defizitären Masterplan schließen. Das Gesamtreplikat macht einen entsprechend fragmentierten Eindruck.

Abb. 21: Fiktionale Grachtenhäuser in Shenyang.

Abb. 21: Fiktionale Grachtenhäuser in Shenyang.

In Neu Amsterdam ist nichts eindeutig. Der Haupteingang gibt sich wie das Tor zu einer Nachbarschaft. Doch andererseits gibt sich dieses Quartier als thematische Stadt im Stile der Shanghaier Neustädte. Der ganze Stadtraum ist als geschlossener Raum konzipiert. Die als offen inszenierten Bereiche sind somit im Prinzip auch geschlossen. Andererseits gliedert sich die Stadt in mehrere Nachbarschaften, darunter Villenquartiere, multiple Quartiere (nach Art der stufenförmigen Bebauung), Hochhaus-Quartiere und, nicht zu vergessen, in den fiktionalen Stadtkörper integrierte – holländische – Wohngebäude. Dennoch sind diese Quartiere nicht gegenüber anderen Nach­barschaften exkludiert.

Wenn dennoch am Hauptbahnhof von Am­sterdam oder am Wasser vor der Rathaus eine gewisse Betriebsamkeit anzutreffen ist, dann hängt das damit zusammen, dass keines der Stadt- bzw. Quartierstore bewacht ist. Es gibt keinen Wachdienst, keinen Pflegedienst. So kommt man nach Belieben zum Angeln oder zu Familienausflügen, zum Essen und zum Aufzeichnen von Hochzeitsvideos. Neu Amsterdam ist eine zeitlich instabil und in Teilen informell angeeignete Geisterstadt, eine tote Kulissenmetropole, eine mit gebauten Stadtbildern vollgestellte Citytainment-Brache.

Wenn die Blumenrabatten auf den beigefügten Fotos dennoch gepflegt erscheinen, dann hängt das mit der Gartenbau-Weltausstellung zusammen, die zum Zeitpunkt unserer Inspektion ihre Tore unweit der niederländischen Stadtfiktion öffnete. In Neu Amsterdam hat es Probleme gegeben. Die Vermarktung der Wohnungen wurde, noch ehe sie beginnen konnte, gestoppt. Es heißt, der Projektentwickler sei in Konkurs gegangen. Über Details hüllt man sich in Schweigen und man wird den Eindruck nicht los, dass Neu Amsterdam ein heißes Eisen ist, das niemand anpacken will. So kann man auch nicht feststellen, ob es größere Vermarktungsprobleme gegeben hat bzw. geben würde.

Dass mit importierten oder endemischen Ideen am chinesischen Immobilienmarkt vorbei produziert wird, ist im gegenwärtigen China nichts Außergewöhnliches. In den meisten Fällen wird abgerissen und neu gebaut. Diese Praxis verweist vor allem auf die enorme Diskrepanz zwischen Grundstückswert und Gebäudewert im Niedriglohn-Land China, die derartige Reaktionen wirtschaftlich vertretbar macht. Hinzu kommt allerdings auch das Denken und Handeln in Komplettlösungen: Ein Nach­barschaft wird ebenso wie eine ganze Neustadt wie ein einziges Produkt betrachtet. Gibt es Probleme, die zum Entzug der Genehmigung führen oder zur Konsumentenverweigerung, dann wird nicht differenziert reagiert, sondern so, als ob es sich eben um ein Produkt handelt. Es wird komplett vom Markt genommen. So gehen wir inzwischen davon aus, dass Neu Amsterdam bereits eine virtuelle Spekulationsbrache ist – und eines Tages dem Erdboden gleich gemacht wird. Es wäre der Untergang der Titanic der Stadtkopien.

Blick vom Eiffelturm auf Angkor Wat.

Wenden wir uns dem Themenpark zu: Welt­umspannendes Vorbild aller Erlebniswelten, welche Elemente der Stadt zum Gegenstand haben, sind die von Walt Disney ersonnenen Themenparks, namentlich Disneyland im Süd-Westen und Disneyworld im Süd-Osten der Vereinigten Staaten. Die Stadtfiktionen artikulieren sich hier primär in Gestalt einer zentralen, barock anmutenden Achse mit der Bezeichnung ‘Mainstreet’ und in zweiter Linie im New Orleans Square oder auch in der Stadt­travestie ‘Mickey’s Toontown’. Damit sind bereits drei der insgesamt 8 thematischen Räume benannt, die allesamt auf us-ame­rikanische Mythen bzw. Erzählungen Bezug nehmen, allen voran Frontierland, Adventureland, Tomorrowland, Critter Coun­try und Fantasyland. Das letzte der Reiche artikuliert, worum es vor allen Dingen geht, um Fan­tasien, Träume, Imaginationen – mit einem Wort: um Gefühle, Emotionen. Der Besucher soll in die rosafarbene Watte des ‘glücklichsten Ortes der Welt’ gehüllt werden.

Die Mainstreet ist der Inbegriff eines invertierten städtischen Raums, wo also das Öffentliche privat ist bzw. das Private öffentlich ist. In der Mainstreet vergegenständlicht sich der Traum von der guten alten Zeit, als die ame­rikanische Stadt noch eine überschaubare Kleinstadt mit klarer Funktionszuweisung war, nämlich dem landlebenden ‘common man’ (Hardinghaus 2004) alles zu bieten, was er für seinen harten Kampf dort draußen in der Wildnis benötigt. Die Mainstreet USA orientiert auf die feudal-rurale Ikone Cinderella Castle. [13] Eine solche Nebeneinanderstellung ist in Traumwelten problemlos und bereitet den gegen Stadt-Land-Dichotomien resistenten Nordamerikanern keinerlei Kopfzerbrechen. [14]

Anders das ‘Fenster der Welt’ in Shenzhen. Hier geht es nicht um Traumwelten; es werden keine Fantasiegebilde oder bauliche Übertreibungen angeboten, sondern gleich­sam dreidimensionale Fotografien prominenter Bauwerke aus nahezu allen ge­schichtlichen Epochen und von jedem Kontinent (außer der Antarktis) ausgestellt – das Ganze mit einer Garnierung aus Fontäne (100 m Höhe!), Matterhorn- und Fujiama-Imitaten und, nicht zu vergessen, ‘Gottes Hand’. Zwar geht es auch hier um Emotionen, jedoch in abgewogener Form. Das Gegengewicht bilden Inhalte, die insbesondere an wissbegierige Kinder und Erwachsene vermittelt werden. Für Schulklassen ist ‘Window of the World’ ein beliebtes Ziel.

Abb. 22: Hyperreale Assemblage von Venus, David und Eiffelturm in Shenzhen.

Abb. 22: Hyperreale Assemblage von Venus, David und Eiffelturm in Shenzhen.

Das ‘Fenster der Welt’ in Shenzhen zeigt auf 480 Tsd. m2 laut Eigenwerbung ca. 130 Reproduktionen der berühmtesten Attraktionen aus aller Welt, darunter eine Kopie des Eifelturms mit immerhin 108m Höhe (Maßstab 1:3 etwa) als weithin sichtbare Landmarke. Der Park ist in 9 Sektionen unterteilt (Asien, Ozeanien, Europa, Afrika, Amerika, Erholungsbereich im Wissenschafts- und Technologiezentrum, Skulpturenpart und, wichtig, Internationaler Boulevard). Unter den 67 wichtigsten Kopien befinden sich immerhin 7 aus Frankreich, 5 aus Großbritannien und 1 aus Deutsch­land (Kölner Dom im­ Maß­stab 1:15).

Obschon geografisch-thematisch aufgebaut und insofern an rationale Ausstellungskonzepte von Galerien bzw. Museen orientiert, ist der Park im Großen und im Kleinen gespickt mit willkürlichen Nebeneinanderstellungen (juxtapositions), welche einen anonymen Wikipedia-Autoren dazu hinreißen, von einem ‘slightly kitsch appeal of this theme park’ zu sprechen. Hinter diesem ‘Kitsch’ steht jedoch nichts anderes, als eine Spiegelung der Fähigkeit, im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung beliebige Personen und Objekte in einem Bild zusammenzuführen – und dabei Raum und Zeit souverän zu transzendieren. Windows of the World reflektiert diese Fähigkeit, indem es die Leuchttürme und Bauwunder dieser Welt im verkleinerten Maßstab kopiert und dem staunenden Betrachter – dreidimensional – gegenüberstellt.

Noch bevor der Eingang durchschritten wird, grüßt und lockt der Themenpark seine Besucher mit einer giebelwandigen Häuserreihe, die mit Fassadenspiel und Fiktion parzellierter Blockrandbebauung ‘europäische Stadt’ (‘bella città’) signalisiert. Gleich am Eingangstor finden wir Michelangelos Florentiner David friedlich neben einer griechischen Helena vor der Kulisse des Eifelturms und gerahmt durch Hybride von Brandenburger Tor und römischer Säulenreihe. Hier geht es zu wie beim chinesischen Essen: Nicht die Komposition des Ganzen steht im Vordergrund, sondern der Inkrementalismus der Komponenten: Alles geht zusammen, alles kann nebeneinander bestehen. Beim Essen geht es um die Sensationen der Zunge, im Themenpark geht es um die Sensationen des Auges. Die Sphinx von Giseh und die Freiheitsstatue? Kein Problem! Window of the World, so die Werbung, gestattet es Ihnen, mexikanisch zu essen, dabei die Niagarafälle zu bewundern und nach dem Essen in Angkor Wat zu flanieren oder im Alpen-Ski-Paradies Snowboard zu fahren. Den Abend kann man bei Bikini-Mädchen, die zu Tom Jones ‘Sex Bomb’ über die Bühne stolzieren, ausklingen lassen.

Abb.23: Europäische Stadtfiktion in Shenzhen.

Abb.23: Europäische Stadtfiktion in Shenzhen.

Themenparks sind in China außergewöhnlich beliebt. Sie reflektieren eine Neugier an den Dingen, die man in ihrer Intensität eigentlich nur als radikale Negation einstiger Isolierung betrachten kann, eine Isolierung, welche weniger total war, als sie vielfach in diesem Lande dargestellt wird, die jedoch wie ein kollektives Trauma ausagiert wird. Isolationismus soll es nie mehr geben! Also wird alles, was die Welt an Schönem, Sensationellem, Verwunderlichem, Märchenhaftem, Beeindruckendem, Unverwechselbarem etc. zu bieten hat, fotografiert, gescannt, abgemalt, nach China transponiert, eins-zu-eins oder en miniature nachgebaut und mit staunenden Augen besichtigt. In China soll es derzeit ca. 1000 Themenparks geben. (Sheng, Haitao 2007). Hauptstadt derselben ist ohne Zweifel die Boomstadt Shenzhen, wo bereits 1989 der erste Miniaturland­schaftspark unter dem Namen ‘Prachtvolles China’ eröffnet wurde. Der beispiellose Erfolg dieses Parks löste den Themenpark-Boom aus, welcher China zum Weltmeister der fiktionalen Welten gemacht hat.

Seit Georgs Simmels Beobachtungen des Verhaltens modernen Großstadtmenschen oder Theodor Adornos, Max Horkheimers und Herbert Marcuses Kritik der Kulturindustrie und vor allem seit Gerhard Schulzes nüchterner Studie über die Bedeutung von Ästhetisierungen im spätindustriellen Zeitalter wissen wir um die Bedeutung von Erlebniskonsum für den individualisierten Menschen. (Schulze 1992) Ästhetisierungen scheinen jene Lücke an Erleben und Sinn zu schließen, welche eine durchrationalisierte, naturferne Welt der verstädterten Räume hinterlässt. Erlebniswelten scheinen unlösbar mit Stadt­leben und Stadt verbunden.

Auf die besondere Situation, welche die fordistische bzw. funktionalistische Moderne für die urbane Mimikry mit sich brachte, wurde bereits wiederholt hingewiesen. (Has­senpflug 2000; Hassenpflug 2002) So hat der Funktionalismus in Architektur und Städtebau – in der Absicht, den gebauten Raum durch Zonierung und Beschleunigung effektiver zu gestalten – eine narrative Verarmung der Raumproduktion ver­ursacht, welche für die fulminante Rückkehr der urbanen Fiktionen entscheidend wurde. Es konnte gezeigt werden, dass die Erlebnisindustrie den entstandenen Mangel an räum­lichen Ästhetisierungen als erste identifiziert und in ein kommerziell zu befriedigendes Bedürfnis übersetzt hat. Die derart erkannte marktgängige Nachfrage nach Erlebniswelten befriedigte sie vorzugsweise durch Fiktionen der alteuropäischen Stadt mit ihren durch dekorierte Fassaden geschmückten öffentlichen Räumen. In China verbindet sich dieser kompensatorische Aspekt der Ästhetisierung mit einem unbändigen Interesse an Neuem, Fremdem, Exotischem, dass sich seit der Öffnung des allzu lange in sich gekehrten Landes Bahn brach.

Abb.24: Europäische Stadtfiktion in Shenzhen.

Abb.24: Europäische Stadtfiktion in Shenzhen.

Mit dem erwähnten Hinweis auf geschichtliche Randbedingungen für die Popularität von Themenparks in China relativieren wir den Geltungsanspruch einer allgemeinen Theorie der Erlebniswelten, wonach diese generell als Reaktion auf den Funktionalismus der klassischen Moderne betrachtet werden. Das chinesische Beispiel lehrt uns, dass kulturelle Faktoren und die besonderen Entwicklungsbedingungen eines Landes eine große Rolle bei der Beurteilung von urbanen Ästhetisierungen spielt. Die umstandslose Überstellung des Citytainment an die Postmoderne oder 2. Moderne bleibt als alleiniger Erklärungsansatz ersichtlich unterkomplex.

In China ist in den vergangenen 20 Jahren eine ausgedehnte Landschaft urbaner Fiktionen entstanden. Diese ist so vielfältig und facettenreich, dass sich für unsere Zwecke eine typologische Differenzierung empfahl. Dabei erlaubte es die theatralische Natur von Themenstädten, bei der Theatersprache Anleihen vorzunehmen.

Anting erweist sich als „mimetische Transposition“, als Produkt einer Migration der „Idee“ der deutschen Stadt nach China. In ihrer offenen Grund­struktur reproduziert sie deutliche Merkmale der öffentlichen europäischen Stadt – und kommt damit dem chinesischen Dualismus von geschlossener und offener Stadt schwer ins Gehege. Unlösbare Wider­sprüche scheinen vorprogrammiert. Taiwushi, auch Thames Town, ist die sogenannte englische Stadt im Reigen der Neustädte. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine rein chinesische Stadt, deren offene Stadtbühne mit Kopien englischer Gebäude bestückt wurde. Auf den chinesischen Grundriss haben diese Images kaum Einfluss. Taiwushi ist die englische Travestie einer chinesischen Neustadt. Gleiches gilt auch für die schwe­dische Satellitenstadt Luodian. In Neu-Amsterdam (Shenyang), einer zwischen abgeschlossener Nachbarschaft und Kleinstadt schwankender Kopie begeg­neten wir schließlich dem schon tragikomischen Beispiel einer europäischen Parodie der chinesischen Stadt, einer Form der europäischen Inszenierung, die unmittelbar negativ auf den chinesischen Inhalt durchschlägt. Einzig die Stadtbilder und Stadtausschnitte im „Fenster zur Welt“ in Shenzhen können als Ausstellungsobjekte eines Themenparks den dystopischen Eindruck der untersuchten Stadtfiktionen vermeiden. [15]

Abstract

In China herrscht Gründerzeit. Eine gewaltige Umschichtung von Menschen vom Land in die Stadt vollzieht sich. Über 200 Mio. Ar-beitsmigranten drängen gegenwärtig in die wuchernden Großstädte. Zur Entlastung der Kernstädte werden überall im Lande Satelliten- und Trabantenstädte aus dem Boden gestampft. Dabei beschreitet man vielfach neue, postmoderne Wege, die sich deutlich von den west-lichen Entlastungsplanungen des 19. und 20. Jh. unterscheiden. So wird mittels „Themenstädten“ versucht, das verräumlichte Bild und die Lebensart fremder Kulturen nach China zu holen. Der Beitrag beschreibt und analysiert die räumlichen Implikationen der Transposition europäischer Stadtideen und urbaner Texturen nach China. Dies geschieht exemplarisch am Beispiel von drei Themenstädten des ‘Eine Stadt, neun Dörfer-Plans’ von Shanghai, der ‘deutschen Stadt’ Anting, der ‘englischen Stadt’ Taiwushi und der ‘schwedischen Stadt’ Luodian. Ergänzt wird die Untersuchung durch den Blick auf eine niederländische Stadtkopie im nordchinesischen Shenyang und durch einen kurzen Besuch im südchinesischen Themenpark ‘Window of the World’. Wie wichtig es ist, den Code der chinesischen Stadt zu be-herrschen, beweist der Fall der deutschen Stadt Anting: Im Glauben befangen, man könne eine europäische Stadt substanziell in den chinesischen Kulturraum transponieren, implantierte man letztlich einen Fremdkörper. Um diesen doch noch lesbar zu machen, wurde versucht, Anting im Nachhinein zu sinisieren. Dabei erwies sich jeder Eingriff als fragwürdiger, an der Identität der ‘deutschen Stadt’ zerrender Kompromiss. Während Anting Idealismus bezeugt, demonstriert die ‘englische Stadt’ Taiwushi interkulturellen Pragmatismus. Es wird angeboten, was der chinesische Kunde wünscht: Städte aus geschlossenen Na-chbarschaften mit kommerzialisierten, offenen Stadtbühnen aus ges-cannten oder imitierten europäischen Architekturen. Warum diese Stadtfiktionen? Weil die Symbolik des Exotischen von den Angehörigen der neuen Mittel- und Luxusklassen als sozialer Distinktionsgewinn verbucht wird - in einer Lebenswelt, für die Markenidentität (‘branding’) längst Normalität ist.

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Fotonachweis: Alle Fotos vom Autor Dieter Hassenpflug.

Notes

[1] In dieser Bezeichnung, die in europäischen Ohren – angesichts der Tatsache, dass die neuen ‘Dörfer’ durchweg mehr als 100 Tsd. Einwohner haben sollen – befremdlich klingt, reflektiert sich die historisch begründete Abwesenheit einer begrifflich distinkten Unterscheidung von Stadt und Land. Man kann diese Unschärfe mit der Abwesenheit der Pronomina ‘Er’ und ‘Sie’ in der chinesischen Sprache vergleichen.

[2] In einem Bericht über Anting Neustadt übersetzt Lilian Pfaff mit ‘Eine Hauptstadt, Neun Städte-Plan. (Pfaff 2006)

[3] Satellitenstädte liegen der Typologie von Olaf Boustedt zufolge innerhalb, Trabantenstädte außerhalb der sogenannten städtischen Randzone. (Boustedt 1970, Tab. 2, 3207 ff.) Der ‘Eine Stadt, Neun Dörfer-Plan’ weist beide Typen auf, Satelliten- und Trabantenstädte.

[4] “All of these towns have a common point: emphasizing sustainable development, ecological protection and industrial support.” (Dai 2007)

[5] Im Ruhrgebiet ist der frühindustrielle Werksiedlungsbau bis auf den heutigen Tag landschaftsprägend. Neben den Werkswohnungen Krupps in Deutschland sind international die Siedlungen von Pullmann (Pullman Town bei Chicago, 1880), von Cadbury (Bourneville bei Birmingham, 1880) und Lever (Port Sunlight bei Liverpool, 1887) bedeutsam. (Kiess 1991)

[6] Siedlungen im Londoner Orbit wie Welwyn oder Letchworth, die Siedlung Hellerau in Dresden oder die Essener Margarethenhöhe sind bekanntlich aus dieser Bewegung hervorgegangen.

[7] Zum ‘New Urbanism’ allgemein siehe Bodenschatz 2000.

[8] Unter www.designbuild-network.com heißt es z.B. noch: “Organised by the Urban Planning Institute, One City, Nine Towns involves the creation of a series of satellite communities around Shanghai, each inspired by a country that played a pivotal role in the colonial and commercial history of the city. The nine countries are the UK, the USA, Russia, Spain, Sweden, France, the Netherlands, Germany and Italy.”

[9] 1990 wies die Statistik Shanghais 13 “towns” aus. 1998 waren es bereits 117! Zwischen dem enormen Anstieg der Zahl der ‘Ortschaften’ und der Umwidmung der Landbezirke in Stadtbezirke besteht ein unmittelbarer Zusammenhang: Nicht nur die Zunahme der Stadtbezirke, sondern insbesondere die starke Expansion der Zahl der Ortschaften indiziert den enormen Urbanisierungsprozess. (Wu/Li 2002)

[10] Unter ‘Mimesis’ verstehen wir hier die Nachahmung einer ideellen räumlichen Wirklichkeit, z.B, die strukturhomologe Reproduktion einer urbanen Grundform.

[11] Seit Humpert u.a. wissen wir, dass dieses Strukturmerkmal nicht nur der Anpassung an topografische Bedingungen geschuldet ist, sondern zugleich (bzw. vor allem) ästhetischen Idealvorstellungen. (Humpert/Schenk 2001)

[12] Entsprechend teuer soll angeblich auch der Betrieb des zentralen Klimasystems unabhängig von der Zahl der Nutzer sein.

[13] Bei Cinderella Castle handelt es sich um ein freies Replikat des von dem bayrischen König Ludwig II beauftragen Schlosses Neuschwanstein. Neuschwanstein wiederum ist nach Anregungen aus dem Stundenbuch des französischen Herzogs von Berry entstanden, ein Büchlein, das zum Ergötzen des hohen Adeligen mit 12 Burgminiaturen der Brüder Limburg illustriert ist, für jeden Monat eine Berry-Burg – eine schöner und gewaltiger inszeniert als die andere.

[14] Räumlich repräsentiert wird die Abwesenheit eines Stadt/Land-Gegensatzes durch die Abwesenheit von Landschaft (als Gegensatz zu Stadtschaft). Ideell repräsentiert wird dieser Sachverhalt beispielsweise durch die Vision der Broad-Acre-City von Frank Lloyd Wright. In den Vereinigten Staaten stehen Wildnis und Stadt/Land einander gegenüber; in Europa ist der Dreiklang aus Landschaft, Stadtschaft und Wildnis ausdifferenziert, wobei Wildnis eher eine mythische Realität besitzt. M.E. wird in der Landschaftstheorie, die von Nordamerika ausging, dieser grundlegende Unterschied zu wenig gewürdigt bzw. gewichtet.

[15] Bei dem vorliegenden Artikel handelt es sich um die überarbeitete Version von Kapitel 6 des Buches „Der urbane Code Chinas“ (Hassenpflug 2008).

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